Montag, 11. November 2013

Venedig - Biennale ARSENALE



Der Bau des Arsenale wurde um 1100 begonnen. Diese Werft gilt als größter Produktionsbetrieb Europas vor dem Zeitalter der Industrialisierung.

Im Zuge des Aufstiegs Venedigs zur europäischen Seemacht wurde das Arsenale mehrmals erweitert. Das Arsenale enthielt neben den Schiffsbecken, den Schreinereien, den Kalfateranlagen und einer langen Seilhalle, in der die Schiffstaue gedreht wurden, auch Erz- und Gießhütten sowie Pulverlager und das

Waffendepot, was eine strenge Überwachung der Belegschaft durch die venezianische Sicherheitspolizei nötig machte.

Das Arsenale arbeitete außerordentlich effizient. Bereits Im 14. Jahrhundert erfolgte die Produktion der Galeeren in streng rationalisierten Arbeitsabläufen. Jedes Handelsschiff war so konstruiert, dass es in kürzester Zeit zu einem Kriegsschiff umgebaut werden konnte.
Die Bestandteile für die Galeeren waren genormt, wurden vorgefertigt und im Depot gelagert, so dass in kürzester Zeit 25 Schiffe einsatzfertig gemacht werden konnten. Im Krieg gegen die Türken wurden im Arsenal im Jahre 1570 innerhalb von zwei Wochen 100 Galeeren gebaut.



Diese Effizienz war nur durch eine straffe Organisation möglich. Oberste Leiter des Arsenals waren stets für eine befristete Zeit gewählte Mitglieder des Großen Rates. Sie wohnten in drei palazetti, die Paradiso, Purgatorio (Fegefeuer) und Inferno (Hölle) hießen. Es gab eine Vielzahl von Handwerkern wie Schiffszimmerleute, Pecher (Kalfaterer), Mastenkonstrukteure, Segelmacher, Schmiede, Gießereiarbeiter sowie für das Schießpulver und die Bewaffnung. Die Arbeiter waren in Zünften organisiert. Sie waren sehr angesehen, wurden gut entlohnt und genossen eine Reihe von Privilegien, um ein eventuelles Abwandern zur Konkurrenz zu verhindern. Es wurde ihnen auch Wohnraum zur Verfügung gestellt.


Lange stand der frühere Rüstungsbetrieb, der militärisches Sperrgebiet war, leer. Das Arsenale begann zu zerfallen.
Im Jahre1999 fand anlässlich der 48. Biennale eine große Rettungsaktion für das Arsenale statt. Umfangreiche Restaurierungsarbeiten wurden durchgeführt. Das Gelände bietet insgesamt 17.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche.


Zusätzlich gibt es mehr und mehr Ausstellungsorte in der ganzen Stadt verteilt - in Kirchen, Palazzi, scuole und aufgelassenen Werkshallen - die Zahl der teilnehmenden Nationen nimmt ständig zu.

Quellen:
Wikipedia, art spezial Biennale Venedig
















Nun kommen wir zu Arthur Bispo do Rosário, der Auslöser für die Reise zur diesjährigen Biennale. Im Juni wurde in ttt ein kurzer Beitrag über die Biennale gezeigt und ein noch kürzeres Schnipselchen Film über Arthur Bispo do Rosário.



Spontane Reaktion: da muss ich hin!


Arthur Bispo do Rosário schuf den allergrößten Teil seiner Werke in den 50 Jahren, die er von 1938 bis zu seinem Tod in der psychiatrischen Klinik
 Colônia Juliano Moreira in der Nähe von Rio de Janeiro interniert war. Dort vollzog sich ein künstlerischer Weg von ungeheurer Intensität und Freiheit, der eines der wunderbarsten Œuvres in der brasilianischen Kunst hervorbrachte. Darin verbinden sich autobiografische Elemente und Kreativitität.


Der blaue Faden, den Bispo do Rosário für seine Stickereien verwendete, entnahm er den Uniformen des psychiatrischen Krankenhauses. Eine kritische Analyse belegte,dass er den Schutz und die stabilen Verhältnisse in dem Asyl nutzte, um sich seiner schöpferischen Leidenschaft zu widmen.

Seine Arbeiten sind ein Ausdruck dessen, wie er das Universum wahrnahm. Zum Beispiel nummerierte er unendlich alle Personen, die ihm begegneten,  und bezog in seine Werke jedes Element ein, mit dem er in seinem Alltag zu tun hatte.
Die Arbeiten belegen seinen Glauben an Gott, ohne auf Kritik an dogmatischen Positionen zu verzichten, was in hunderten, obsessiv in Stickereien ausgeführten Texten zum Ausdruck kommt.


Aus dem Short Guide der 11. Biennale Lyon, 2011, Frankreich.
Kuratorin: Victoria Noorthoorn
Aus dem Englischen: Haupt & Binder

Vorbereitung auf die Ewigkeit

Aus einem Gespräch der Autorin mit Wilson Lázaro im November 2008.
Author: Katrin Bettina Müller
culturebase@hkw.de
In den letzten Jahren geriet Arthur Bispo do Rosário zu einem heißen Exportschlager der Kunst aus Brasilien. Dabei hat Rosàrio, der 50 Jahre lang in der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses in Rio de Janeiro lebte, sich selbst nie als Künstler verstanden:


Mit seinem Werk wollte er einen spirituellen Auftrag erfüllen. Bispo do Rosário war ein Autodidakt und in seiner Arbeit auf die Materialien seiner Umgebung beschränkt,
aber in seinen Stickereien und Assemblagen finden sich viele Konzepte der Moderne wieder.
Das Werk Arthur Bispo do Rosários ist nicht von seiner persönlichen Geschichte zu trennen. Er
gehörte zu den Außenseitern, die sich selbst nicht als Künstler sehen, sondern ihr Werk als persönlichen Auftrag begreifen.
Die Verbindung zur Kunstwelt haben in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts andere für ihn hergestellt, wie etwa die brasilianische Künstlerin Lygia Clark oder Frederico Moraes,
der 1989 Rosários erste Ausstellung in Rio de Janeiro organisierte. Gleichwohl sorgt das Museu Bispo do Rosário Arte Contemporana in Rio, das seit 2000 sein 802 Arbeiten umfassendes Werk verwaltet, für einen Rahmen, der die Parallelen zwischen dem individuellen Kosmos Bispo do Rosários und den Kunstkonzepten der Moderne vom Surrealismus bis zur inszenierten Fotografie aufzeigt.
Geboren 1911 (anderen Quellen zufolge 1909) in Japaratuba, Sergipe an der Ostküste Brasiliens, arbeitete Bispo do Rosário zunächst als Schiffsjunge, Signalgeberin der Marine und als Boxer. 1933 wegen Aufsässigkeit entlassen, schlug er sich in Rio de Janeiro fünf Jahre lang mit Jobs in Elektrizitätswerken,Hotels und als Hausangestellter durch, bis er 1938 erstmals in psychiatrische Betreuung kam. Er hielt sich für den Heiligen Joseph, dem Jesus begleitet von blauen Engeln erschienen war.
Im Krankenhaus Colinia Juliano Moreira begann er, einem göttlichen Auftrag folgend, kreativ zu arbeiten. Seine Werke
wucherten bald über einen ganzen Gebäudetrakt. Er verbrachte dort die nächsten 50 Jahre bis zu seinem Tod und bereitete sich mit allem, was er tat,und allem, was er herstellte, auf das Jüngste Gericht vor.

Ein wichtiges Element seiner Werke ist die Sprache: Er stickte seine Botschaften auf Stoffe, die er dort, wo er lebte, erhalten konnte: Betttücher, Tagesdecken, alte Uniformen, Anstaltskleidung. Dass Männer sich mit der langsamen und meditativen Arbeit befassen, entsprach einer Tradition in seiner Heimatstadt Japaratuba: Dort sind es die Männer, die die Banner und Kostüme für die Prozession der Madonna sticken. In dieser handwerklichen Technik drückte sich Bispo do Rosário mit großer Sicherheit aus, er brauchte weder Entwürfe noch Vorzeichnungen.

Seine Texte sind vielfältig. Es gibt Gedichte, aber auch Werbetexte für Bibeln, die mit der überaus ironischen Feststellung enden „aber selbst mit Bibel ist man
verlassen in der Psychiatrie“. In anderen Texten kommentiert er das Zeitgeschehen oder erzählt von einer unmöglichen Liebe. Die gestickten Buchstaben, oft groß und deutlich ausgeführt, erinnern dabei in ihrer ornamentalen Pracht an die Inkunabeln mittelalterlicher Buchkunst. Ebenso hat dieVielseitigkeit der Stoffe, die mal ein kleinteiliges, farbenprächtiges Patchwork bilden, mal so groß wie die Decken sind, etwas vom Charakter der arte povera, der kein Stofffetzen zu gering ist, um nicht mit einer Geste der Demut und einem symbolischen Gehalt belegt zu werden.


Bispo do Rosário schrieb nicht nur auf Stoffen, sondern auch auf Papier, Pappe und Holz, baute Stellagen für seine Inventare aus unzähligen Tafeln. Namenslisten, Zahlenkolonnen, Ordnungsystemen: So arbeitete er ständig an einer Katalogisierung des eigenen Lebens. Damit setzt ihn Valerie Smith, die ihn 2008 als Kuratorin der Ausstellung „Rational / Irrational“ im Haus der Kulturen der Welt das erste Mal in Deutschland ausstellt, mit den Konzepten der Hamburger Konzeptkünstlerin Hanne Darboven in Beziehung: Deren Werk tritt dem permanenten Verstreichen der Zeit mit Systematiken des Festhaltens entgegen.
Seine Vergangenheit als Boxer und vor allem sein Leben als Seemann tauchen in Bispos Bildkosmos vielfach auf. Er entwarf ganze Topographien Brasiliens und besetzte sie mit detailreich ausgestatteten, gestickten Schiffen, aus denen kleine silberne Ankerketten baumeln.
Die Materialien dienten ihm fast immer als
Grundlage einer Umdeutung: Er baute Betten mit seidenen Kordeln zu Himmelsfahrzeugen und Fahrräder zu Glücksrädern um, legte Assemblagen aus Knöpfen, Besen, Tassen, Löffeln, Gummistiefeln und Flaschen an. Manchmal verband er unterschiedlichste Dinge wie in einem fahrbaren Marktstand.

Viele Elemente seiner Werke sind farblich komponiert, leere Flaschen etwa sind mit farbigen Papierschnipseln gefüllt.
So bestickte er auch Jacken und machte sie zu Zeremonialgewändern. Es gibt 32 Fotografien, auf denen er diese Kostüme vorführt. Wie Wilson Lázaro, Kurator des Museu Bispo do Rosário Arte Contemporana, betont, wies er die Fotografen dabei sehr genau an, wie er aufgenommen werden sollte.


Wilson Lázaro weiß auch, dass Arthur Bispo do Rosário die meiste Zeit seiner Jahre im Krankenhaus einen Schlüssel besaß und damit einen Ausnahme-Status unter den Insassen genoss. Die Anstalt funktionierte für ihn als ein Schutzraum, in dem er in Ruhe seiner Sache nachgehen konnte. Trotzdem bei ihm eine
paranoide Schizophrenie diagnostiziert wurde, kamen die „harten“ Therapien seiner Zeit bei ihm nicht zur Anwendung. Tatsächlich beanspruchte er die Dienste anderer Patienten, des Personals und der Besucher der Anstalt, zum Beispiel bei der Materialbeschaffung. Sein Auftrag, die Vorbereitung auf das Jüngste Gericht, verlieh ihm eine Autorität, der andere sich zu fügen hatten. Er entschied, wer sein Werk sehen durfte. Deshalb beinhaltet sein künstlerisches Werk, das eigentlich eine gigantische Einheit, eine fortgesetzte Akkumulation bildet, auch performative Akte.
Von hier lassen sich viele Linien zu den Ready Mades der frühen Moderne ziehen, den Assemblagen, die Fernandez Arman in den sechziger Jahren anlegte. Das erklärt, warum die Kunstwelt sich für den Autodidakten, der sich für sie nicht interessierte, begeistern konnte. Aber auch sein Rückzug, seine
Konzentration auf sein Werk, das er unabhängig von den Erfolgen und Misserfolgen der „Welt da draußen“ schuf, verleiht ihm bis heute eine besondere Aura. Sich als Künstler nicht über eine Position am Kunstmarkt zu definieren und unabhängig vom Kunstbetrieb zu agieren, ist eine selten gewordene
Tugend. Gerade um derentwillen öffnet sich der Kunstbetrieb von Zeit zu Zeit Außenseitern wie Arthur Bispo do Rosário, die einen unberührten Schöpferbegriff verkörpern.

So kam Bispo do Rosário 1995 auf die Biennale in Venedig. Seit Beginn der neunziger Jahre waren seine Arbeiten in vielen Gruppenausstellungen in Brasilien zu sehen, 2003 erhielt er eine Soloshow im Jeu de Paume in Paris.

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